Über den Widerstand

Über den Widerstand

Eine Szene aus dem Film Pippi Langstrumpf:

Pippi * sitzt mit Tommi und Annika zu Tisch bei Fräulein Prüsselius. Diese hat extra ihre super-leckere Gemüsesuppe für die Kinder gekocht. Unbemerkt hat Pippis Affe Herr Nilsson aus dem Regal jede Menge Nägel in die Suppe fallen lassen... Mit stolzer Miene serviert Fräulein Prüsselius also ihre Suppe und das Abendessen beginnt.

Gleich nach dem ersten Löffel hat jeder der Anwesenden jede Menge Nägel im Mund und reagiert jeweils auf seine Weise: Annika reißt die Augen auf, hört auf zu kauen und spuckt die Nägel aus. Auch Tommy spuckt die Nägel mit angewidertem Blick aus. Für beide scheint die Suppe damit „gegessen“. Fräulein Prüsselius ragen die Nägel wie Dornen aus dem Mund und man möchte ihr nun lieber nicht zu nahe kommen. Pippi schiebt sich den ersten Löffel in den Mund und ihr scheint grinsend zu dämmern, was geschehen ist. Nach kurzem Innehalten beginnt sie, die Nägel zu verbiegen, lustvoll auf ihnen herum zu kauen, es knackt und knirscht, sie lächelt – und schluckt. Anschließend verputzt sie als Einzige weitere Löffel.

Was will mir diese Geschichte über den Widerstand sagen?

Nachdem ich die Szene in letzter Zeit häufiger angesehen hatte, musste ich in meiner Yogapraxis immer wieder lächelnd an sie denken. Mir schien es recht ähnlich mit dem Widerstand in schwierigen oder auch schmerzhaften Yogapositionen zu sein. So stellte ich mir in Dehnungen oder kraftvollen Balancepositionen, wenn langsam Schmerz oder Widerstand (oder beides) hervorkrochen vor, wie nun Pippi bzw. jeder der Anwesenden in obiger Szene reagieren würden?

Annika würde vielleicht Angst bekommen und schnell aus der Position rausgehen, sich nicht mehr trauen, sie erneut zu probieren...

Tommy würde das Gesicht verziehen und sich vielleicht sagen, was das für eine fürchterliche Position ist, die er da machen muss und dass Yoga wohl doch nichts für ihn sei...

Fräulein Prüsselius würde die Krallen ausfahren und sich mit den herausstehenden Nägeln ganz schön mit ihrem inneren Schweinehund verbeißen. Dabei würde sie wohl kaum loslassen können...

Pippi würde vielleicht als Einzige den Widerstand fühlen, erkennen – und dann lustvoll beginnen, auf ihm herum zu kauen.

Diese Variante gefiel mir sehr gut. Ich stellte mir also in meiner schwierigen Haltung vor, wie ich auf meinen Grenzen, meinem Widerstand und vielleicht aufkommendem Unmut „herumkaue“, wie ich meine schmerzenden Glieder oder Muskeln „probiere“ und auskoste. Und merke, je mehr ich mich innerlich auf den Widerstand einlasse statt ihn „auszuspucken“, umso weicher werde ich und kann ihn integrieren. Ihm gar mit einem inneren Lächeln begegnen und ihn verbiegen!

Es ist, als ob ich dem Widerstand nicht wider-stehen und ange-widert reagieren muss (was vielleicht eine erste unbewusste Reaktion ist), sondern ich ihm vielmehr nicht widerstehen konnte! Ich will mehr davon, mehr kosten und integrieren und letztlich über mich erfahren. Auf der einen Seite sind Widerstand und Abwehr bestimmt lebensnotwendig und wichtig; denn wer will schon echte Nägel essen? Auf der anderen Seite können wir mit unserem Widerstand auch spielen, unsere Grenzen verbiegen, weicher werden, in der Bewegung aufgehen. Ich glaube, wir haben alle Anteile von Pippi, Tommy, Annika und Fräulein Prüsselius in uns. Nur zusammen ergeben sie ein Ganzes.

Wenn ich mir abschließend die Szene aus Pippi Langstrumpf genauer ansehe, kann ich sehen, dass die Nägel, die Pippi isst, in echt weich und vielleicht aus Lakritz sind und wahrscheinlich richtig süß schmecken.

Es ist also nicht alles hart und unbezwingbar, wie es vielleicht auf den ersten Blick scheint. Was sich anfangs fest und unbeugsam in einer Position angefühlt hat, wird kleiner und biegsam... ...so wider-sprüchlich das Ganze vielleicht auch klingen mag ;-)

Doris

* voller Name: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf


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